Exposé einer neuen Dokufiktion

Wenn sich Liebe in Gift verwandelt

Das im Folgenden kurz skizzierte, dokufiktionale Projekt basiert auf den Tagebüchern meiner Großmutter Helene Seidel.


Der idyllische Ort Schweidnitz, im Gebiet des alten Herzogtums Schlesien gelegen und nur eine Stunde von Breslau entfernt, ist der Geburtsort von Helene Seidel. Diese erblickte am 10. Juli 1913 als dritte von fünf Geschwistern das Licht der Welt und war bald der Liebling ihrer Eltern Friedrich Seidel und seiner Gattin Laura Seidel. Ihre Familie ist von jüdischer Abstammung und sie besaßen ein großzügiges Landgut, eingebettet in die paradiesische Natur Schlesiens. Hier verbringt das aufgeweckte Mädchen ihre nahezu perfekte Kindheit. Schon früh freundet sie sich mit einem Jungen vom Nachbargut des Herzogs von Bramberg an und bereits zu dieser Zeit hegten ihre Eltern den Traum, dass ihre Tochter einmal den Sohn des Herzogs heiraten würde. Und tatsächlich entwickelte David von Bramberg später Gefühle für Helene. Sie, überaus hübsch und intelligent, war es bereits mit 15 Jahren gewohnt, von Jungen umschwärmt zu werden und nie erwiderte sie deren Gefühle. Auch dieses Mal war es nicht anders, und somit zerbrach nicht nur Davids Herz, sondern auch ihre Freundschaft. Damit verlor Helene ihren engsten Vertrauten neben ihrer Schwester Amalia, die allerdings wenige Monate später zum Studium in die Hauptstadt Berlin zog. Ein Jahr später, in den Sommerferien 1930, besuchte Helene ihre Schwester für 2 Wochen und die Stadt beeindruckte sie so sehr, dass sie sich bereits zwei Jahre vor ihrem Abitur dazu entschloss, ebenfalls nach Berlin zu ziehen. Ihre Eltern waren strikt dagegen, sie sollte lieber auf dem Landgut bleiben und ihrem Vater zur Hand gehen. Doch seit dem Zerbrechen ihrer Freundschaft zu David fühlte sich Helene in der Heimat unwohl und auch die Eltern engten sie immer mehr ein. Alles, was sie wollte, war Freiheit, und letztendlich setzte sie sich mit ihrem Willen durch. Helene bestand ihr Abitur mit 1,3 und so konnte sie sich im Jahr 1932 an der Universität Berlin immatrikulieren. Über ihre Studienzeit hat sie besonders viele Tagebucheinträge verfasst, denn in dieser Zeit lernte sie Alexander Großenhain kennen, mit dem sie nicht viel später eine Liebesbeziehung hatte und der ihr Leben entscheidend veränderte. Denn Alexander war in der NSDAP tätig und nahezu von dieser Ideologie besessen, doch das sollte Helene erst später erfahren. Ihre Schwester Amalia stellte die beiden einander vor und ihre erste Begegnung

beschrieb sie so: „Es war Liebe auf den ersten Blick. Das mag merkwürdig klingen, da ich ja noch nie verliebt war, aber als ich zum ersten Mal sein Gesicht erblickte, durchzuckte es meinen ganzen Körper. Ich war unfähig, nur noch einen klaren Gedanken zu fassen, ganz zu schweigen davon, ganze Sätze zu formen. Sein Eindruck von mir muss lächerlich gewesen sein.“ Doch Helene irrte sich, auch Alexander fühlte sich vom ersten Moment an magisch von ihr angezogen. Zwei Wochen später, wie sich aus den Daten ihrer Tagebucheinträge erkennen lässt, waren die beiden ein Paar. Helene fühlte sich wie auf Wolke sieben, bis sie von seiner Parteitätigkeit erfuhr. Er wusste nicht, dass sie jüdischer Abstammung war und dabei sollte es bleiben. Zu diesem Zeitpunkt war Helene bereits blind vor Liebe und sogar dazu bereit, ihr ganzes Leben für Alexander aufzugeben. Und so leugnete sie fortan ihre Religion, brach sogar den Kontakt zu ihrer Familie, auch zu ihrer Schwester, komplett ab. In einem ihrer Einträge ließ sich erkennen, dass sie sogar mit den Gedanken spielte, zur Tarnung selbst
in die Partei einzutreten. Soweit sollte es allerdings nicht mehr kommen. Ihre Liebesbeziehung war Vielen ein Dorn im Auge, allen voran Sophia Landgraf. Sie kannte Alexander durch die NSDAP und wünschte sich nichts sehnlicher, als selbst mit ihm zusammen zu sein. Dementsprechend kochte sie vor Eifersucht und versuchte Helene durch Intrigen zu schaden. Ihr Ziel erreichte sie jedoch nicht. Schließlich führte sie Recherchen und fand Helenes Geheimnis heraus, kurz darauf verfasst sie einen tragischen Brief an Alexander. Als dieser das Schriftstück erhielt, brach seine Welt zusammen, denn er liebte Helene über alles, jedoch war er zu sehr von der NS-Ideologie verblendet. In dieser Dilemmasituation entschied er sich für die Partei, zudem er kurz davor war, Karriere zu machen. In den nächsten Jahren wurde er sogar zu einem engen Vertrauten Adolf Hitlers. Da der Führer auf keinem Fall davon erfahren durfte, dass er ein Verhältnis mit einer Jüdin hatte, heiratete er Sophia und brachte sie damit zum Schweigen. Helene erfuhr davon nichts mehr, denn sie durchlebte nach der Trennung von Alexander schlimme Depressionen, bis sie sich am 18. September 1933 zum Suizid entschloss. In ihrem Leben sah sie keinen Sinn mehr, und so stürzte sie sich von einer der vielen Brücken Berlins in die eisigen Fluten der Spree. In ihrem letzten Tagebucheintrag bedankte sie sich bei Alexander für die schönste Zeit ihres Lebens.


Denise