Rachel und Lukas Domcik im Gespräch

Jetzt saß ich also wieder hier. Alles kam mir bekannt vor. Es hatte sich auch nichts verändert. Der gleiche Geruch, die gleichen Tische, die gleichen Vorhänge und die gleichen Erinnerungen. Und Egon stand auch wie immer hinterm Tresen und zapfte Bier. Wie er mich angesehen hatte, als ich durch die Tür kam. Er konnte es nicht glauben, mich wieder hier zu sehen. Ich konnte es ja selbst nicht glauben, was wollte ich eigentlich hier? Hoffte ich, dass sie wirklich kommen würde oder wollte ich mich einfach an die guten Zeiten erinnern – an den Anfang, als ich noch für sie schwärmte und nicht ihre andere Seite kannte. Hier saß ich, Lukas Domcik, im Bühnen-Bistro mit der Hoffnung sie, Rachel Bringman, wieder zu sehen.
Doch wollte ich das wirklich nach alledem was passiert ist? Nachdem sie mich so hintergangen hatte? Ja, das wollte ich. Ich wollte wissen, wieso sie so hinterhältig war. Gestern, als ich so durch die Stadt spazierte, lief sie mir plötzlich über den Weg. Richtig erschreckt hatte ich mich. Doch trotzdem lud ich sie für heute Abend ein. Jetzt musste ich nur warten. Ich hatte ja den ganzen Abend Zeit. Anne hatte sich von mir scheiden lassen, nachdem sie von der Geschichte mit Rachel erfahren hatte. Eines Tages saß sie am Küchentisch, die gepackten Koffer standen im Flur, und ich wusste, dass sie mich nun verlassen würde. Sie hatte im PC die gespeicherten E-Mails von Rachel und mir gelesen und würde nun ausziehen. Mich schockte mittlerweile gar nichts mehr, also nickte ich nur, zog meine Jacke aus und verschwand in meinem Arbeitszimmer.
Egon stellte mir gerade das dritte Bier auf den Tisch, als die Tür aufging und eine immer noch wunderschöne Rachel Bringman(-Levison?) auf mich zuschwebte. Sie trug wie schon vor einem Jahr eine eng anliegende Blue Jeans und dieselbe schwarze Lederjacke. Ihre Haare hatte sie locker zu einem Knoten am Hinterkopf festgesteckt. Sie setzte sich zu mir und ich traute meinen Ohren kaum bei den ersten Worten, die aus ihrem Mund kamen: „Es tut mir so leid, Lukas! Ich weiß nicht, was damals in mich gefahren ist. Ich war so besessen davon, erfolgreich zu werden, dass ich dich dabei ganz vergessen hatte. Ich weiß, wie viel ich dir bedeutet habe und dass ich dich wahrscheinlich sehr verletzt habe.“
Ich hätte mit Beschimpfungen gerechnet, mit Rechtfertigungen, ja sogar mit dem Versuch, mich wieder einzuwickeln - aber sicherlich nicht mit einer Entschuldigung. Sie fuhr fort: „Dein Buch war einfach der Wahnsinn! Jeder hat es geliebt! Wahrscheinlich weißt du ja, wie erfolgreich es war.“
Sie schob einen Umschlag über den Tisch: „Hier, das ist ein Scheck mit deinem Anteil. Wenn ich mich schon damals nicht korrekt verhalten habe, will ich es wenigstens jetzt tun.“ Und wieder überraschte sie mich. Rachels Deutsch war übrigens sehr viel besser als vor einem Jahr. Man hörte zwar noch einen Akzent, aber sie sprach grammatikalisch richtig. Irgendwann hatte ich es aufgegeben, ihr Leben weiterhin zu verfolgen. „Danke wegen des Geldes. Nötig wär's nicht gewesen. Aber es scheint mir, dass es dir gut geht, also finanziell meine ich. Was hast du denn das letzte Jahr so getrieben?“
Und als sie zu erzählen begann, staunte ich nicht schlecht. Sie erklärte mir, dass sie, nachdem der Erfolg mit „unserem“ Buch langsam nachzulassen begann, ein Engagement für einen Film bekam. Man bot ihr an, „Vom Memelstrand zum Themseufer“ als eine Art Dokumentation zu verfilmen, fürs öffentlich rechtliche Fernsehen. Sie spielte dabei die Hauptrolle der jungen Thea. Der Streifen würde in ein paar Wochen laufen. Das beeindruckte mich schwer. Ich wusste immer, dass ich ein gutes Buch geschrieben hatte, aber dass man daraus eine Dokumentation machen würde, hätte ich nicht zu träumen gewagt. „Was hast du denn so getrieben?“ fragte sie mich. „Bei Lindbrunn habe ich ja nichts mehr von dir gehört. Du bist doch nicht etwa wegen mir rausgeflogen?“ Oh doch, das war ich. Ich begann zu erzählen: „Nach dem Vorfall in der Oper in Leipzig bekam ich postwendend die Kündigung von Scholz zugeschickt. Ihm täte es sehr leid, aber er könnte mich so einfach nicht halten. Meine Frau hat mich auch verlassen. Sie hatte von unserer gemeinsamen Nacht erfahren. Ich glaube ja, dass sie einen Anderen hat, aber das ist eigentlich auch egal. Ich bin dann wieder zu meinem alten Verlag Strohbold zurück, hatte dort aber wenig Erfolg. Also hab ich wieder angefangen, Rezensionen zu schreiben, obwohl das nie so ganz das war, was ich wollte. Aber als Autor wollte es einfach nicht mehr so recht klappen. Von irgendetwas muss man ja leben. Also hab ich einen Job als Kritiker angenommen und das mache ich jetzt immer noch. Aber bitte kein Mitleid, ich habe mir das alles selbst eingebrockt und jetzt muss ich es auch auslöffeln. Wer weiß, für was das alles gut ist.“
„Das tut mir wirklich leid, dass du deinen Job verloren hast und das auch noch wegen mir. Du bist so ein toller Schriftsteller! Echt schade.“ Rachel schlug mir vor, wieder mit ihr gemeinsam zu arbeiten, aber das lehnte ich dankend ab, obwohl ich wusste, dass sie sich geändert hat. Ich hatte damit schlechte Erfahrungen gemacht und die Sache mit den Fälschungen war mir einfach nicht mehr wirklich geheuer. Rachel und ich redeten noch sehr lange. Wir gingen erst, als Egon uns rausschmiss, weil er dicht machen wollte.
Im Bett landeten wir daraufhin nicht, auch wenn ich mir das damals innigst gewünscht habe. Doch inzwischen tickte ich anders. Natürlich war Rachel immer noch der Traum meiner schlaflosen Nächte, soll heißen, dass ich sie immer noch sehr attraktiv finde, aber das ist für mich nicht mehr alles im Leben.
Rachel lebt zur Zeit in Deutschland und wir treffen uns nun regelmäßig. Und wie soll ich es sagen – nun ja, ich glaube, es bahnt sich da etwas an, etwas Ernstes. Zwischen mir und Rachel Bringman. Seltsam oder? Aber es kommt eben oft anders, als man denkt.


Isabell