22. Januar 2013

Schmied ohne Hammer

Harald Bretschneider prägt das Symbol der DDR-Friedensbewegung: Zu Pflugscharen umgeschmiedete Schwerter

Wie ein Einzelner zur Veränderung einer ganzen Gesellschaft beitragen kann - darum ging es gestern in einer ganz besondere Lehrstunde am Lessing-Gymnasium Döbeln.
"Ein Bibelwort, das eine Diktatur ins Wanken brachte" hatte Harald Bretschneider (Jahrgang 1942) seinen Vortrag vor etwa 100 geschichtlich interessierten Schülern überschrieben. Am gestrigen 184. Geburtstag Lessings war der Vortrag auch Startpunkt einer Reihe, mit der das Gymnasium künftig an Lessings-Geburtstag an dessen Einsatz für Themen wie Freiheit des Einzelnen, Vernunft und Toleranz erinnern will.

Mitglieder des Traditions- und Fördervereins des Lessing-Gymnasiums und etwa 100 geschichtsinteressierte Schüler verfolgten gestern den Vortrag von Harald Bretschneider. Am 284. Geburtstag Lessings leitete er damit eine Reihe ein, die an der Bildungsstätte zur Traditions werden soll. Seit 1947 trägt die Schule den Namen des Dichters und Denkers. Foto: Sens


Harald Bretschneider, der 1960 am Döbelner Lessing-Gymnasium sein Reifezeugnis erhielt, wurde zu einer wichtigen Symbolfigur der kirchlichen Friedensbewegung in der DDR. Er schuf die Symbole "Schwerter zu Pflugscharen" sowie "Frieden schaffen ohne Waffen" und initiierte die ersten Friedensdekade in der DDR. Am 4. Oktober 2012, anlässlich des Tages der Deutschen Einheit, zeichnete Bundespräsident Joachim Gauck den Theologen für außerordentliches Engagement um die kirchliche Friedens- und Jugendarbeit von Bundespräsident Joachim Gauck mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse aus. In einem knapp einstündigen Vortrag schilderte er, was ihn prägte, ein Leben lang bewegtr und ihn zu einem überzeugten Pazifisten werden ließ. Bei dieser Gelegenheit stellte er gleich einen Fehler in einem aktuellen Geschichtsbuch der fünften und sechsten Klassen klar, das den Spruch "Schwerter zu Pflugscharen" allen Ernstes als Losung der SED bezeichnet.

Einige Lebensereignisse stellte Bretschneider besonders heraus. Als Dreijähriger zieht ihn in der Bombennacht des 13. Februar 1945 seine Mutter aus einem Kellerfenster - über ihm der brennende Himmel über Dresden, unter ihm flüssiger Asphalt. Zwei Bilder, die sich tief einprägen. Als Ausgebombte landet die Familie in Leisnig, wo er die Siegismund-Reschke-Schule besucht. Als in der Garnisonsstadt 1948 ein russischer Panzer mitten in der Stadt eine Kurve nicht kriegt und in eine Hausecke kracht, spießt das Kanonenrohr ins Wohnzimmer der Bretschneiders. Ein Mitschüler, der in der Schule diese Szene zeichnet, bekommt mit einem kriegstraumatisierten Neulehrer richtig Ärger. "Der Lehrer ließ uns an diesem Tag alle schwören, dass wir nie wieder eine Waffe in die Hand nehmen." Harald Bretschneider hält sich zeitlebens an diesen Schwur. Als sich in der Klasse 11B1 am Lessing-Gymnasium Döbeln alle Schüler als Freiwillige für die neue Nationale Volksarmee verpflichten sollen, bleibt Bretschneider als einziger standhaft. Man beackert ihn fast täglich und sagt ihm schließlich klar, dass er sein Architekturstudium damit vergessen kann. Harald Bretschneider wird zunächst Zimmermann und findet bei Sanierungsarbeiten an der Leisniger Kirche seine Berufung, Theologie zu studieren. Mit Einführung der Wehrpflicht 1962 verweigert er den Wehrdienst total. Bei seiner Musterung verspricht aber, er werde der DDR wirtschaftlich statt militärisch dienen. Das Versprechen hält der Diplom-Theologe, als er sich ohne Einberufung zum Hilfsdienst auf einer Großbaustelle des Spezialbaukombinates Magdeburg einfindet. Dieses Zeichen machte den "Bautheologen" im ganzen Betrieb bekannt. Die Staatssicherheit schreitet ein. Er wird als Bausoldat eingezogen.


"Das Wettrüsten und die Militarisierung der DDR beobachteten viele junge Leute damals mit Sorge. Die Bausoldaten, aber vor allem die 7000 Totalverweigerer, setzten Zeichen", erklärt er den Schülern. In dieser Zeit wird Harald Bretschneider Jugendpfarrer der Landeskirche und betreut kirchliche Jugendarbeit zwischen Zittau, Leipzig, Plauen und Eilenburg. "Als schließlich die Arbeitsgemeinschaft Christliche Jugend in Europa 1980 zum Abrüstungstag aufrief, wusste ich, warum ich in Dresden 1945 errettet wurde. Gott schenkte mir Ideen", berichtet Bretschneider. Aus dem Wort des Propheten Micha im Alten Testament wird "Schwerter zu Pflugscharen", die Losung für die erste Friedensdekade 1980. Es gelingt Harald Bretschneider die Friedensdekade nicht nur landesweit sondern mit Unterstützung von Manfred Stolpe in der ganzen DDR zu veranstalten. In New York steht im Garten des UNO-Hauptgebäudes eine Bronze-Skulptur des russischen Bildhauers Jewgeni Wutschetitsch, welche die Sowjetunion unter Nikita Chruschtschow 1959 der UNO geschenkt hat. Sie zeigt einen Mann, der ein Schwert zu einem Pflug schmiedet, und trägt die Aufschrift "Wir werden Schwerter zu Pflugscharen schmieden". Diese Skulptur wird Symbol und Alibi zugleich. Harald Bretschneider lässt sie mit der Losung auf Vliesstoff drucken, denn das Drucken auf Stoff galt als Textilveredlung und bedurfte im Gegensatz zum Drucken auf Papier in der DDR keiner Genehmigung. Die Einladungen in Form eines Lesezeichens wurde zum Renner. Jugendliche schneiden das kreisrunde Logo aus und nähen es auf ihre Jacken. Bei der nächsten Friedensdekade gibt es die runden Vlies-Aufnäher in großer Stückzahl. Am Buß- und Bettag, der immer auf einen Mittwoch fällt, sollen zu einer Friedensminute die Kirchenglocken läuten, und zwar genau um 13 Uhr. Dann heulten in der DDR an jedem Mittwoch auch die Sirenen testweise. Der Staat fühlt sich von so viel Pazifismus parallel zur Einführung eines neuen Wehrdienstgesetzes massiv herausgefordert. Die Stasi forderte Lehrer und Volkspolizisten auf, die kreisrunden Aufnäher entfernen zu lassen. Doch die kirchliche Friedens- und Demokratiebewegung ist nicht mehr aufzuhalten und mündet schließlich mit dem Slogan "Keine Gewalt" im Herbst 1989 in der friedlichen Revolution.
"Die Kirche mit der Demokratie in ihren Organisationen und Gruppen war lange Zeit das Übungsfeld für die Demokratiebewegung", sagte Harald Bretschneider am Ende seines Vortrages und erntete nach einer Stunde gespannten Zuhörens tosenden Beifall von den Schülern. Ein paar originale Vlies-Einladungen und -aufnäher werden nun anfassbare Geschichte für den Unterricht.

Döbelner Allgemeine Zeitung
Thomas Sparrer
23.01.2013

Zur Person

  • Harald Bretschneider wurde 1942 in Dresden geboren und wuchs in Leisnig auf.
  • 1960 Reifezeugnis am Lessing-Gymnasium Döbeln. Theologiestudium in Leipzig. Zimmermanns-Lehre in Magdeburg, 1962 Kriegsdienstverweigerung, 1966 bis 1967 Bausoldat in der NVA.
  • Erste Pfarrstelle bei Zittau, danach Wahl zum Landesjugendpfarrer.
  • In den 80-er Jahren Mitbegründer der kirchlichen Friedensbewegung in der DDR. Einführung der Friedensdekade in der DDR.
  • Im Herbst 1989 ist er Verbindungsmann zwischen den Oppositionsgruppen und zu den Verhafteten. Harald Bretschneider wird Mitglied der Gruppe der 20.
  • 1991 bis 1997 leitet er die Dresdner Stadtmission.
  • Bis zu seinem Ruhestand im Jahre 2007 ist er Oberlandeskirchenrat.
  • Am 4. Oktober 2012 ehrte in Bundespräsident Joachim Gauck anlässlich des Tages der Deutschen Einheit mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse.


Der Mann hinter dem Friedenssymbol

Harald Bretschneider ist ein Aktivist der Friedensbewegung. In Döbeln verbrachte er eine nicht immer sorgenfreie Jugend.

Es war im September 1948, als ein Panzer der Roten Armee in Leisnig nicht die Kurve bekam. Er krachte in ein Haus an der Kreuzung am Friedhof. In das Haus, in dem der kleine Harald Bretschneider mit seiner Familie wohnte – die Kanone steckte im Wohnzimmer. Ein Freund malte in der Schule den Panzer und sorgte damit für ein Erlebnis, das das weitere Leben des heute 70-Jährigen prägte. „Ein Neulehrer stürzte wie eine Furie auf die Zeichnung, zerriss sie und ließ die Klasse schwören, nie eine Waffe in die Hand zu nehmen“, erzählte Bretschneider. Zehn Jahre später war es mit dieser totalen Ablehnung von Militarismus in der DDR schon wieder vorbei.

Bretschneider besuchte damals die Lessing-Oberschule in Döbeln. Der Ehrgeiz des Schulleiters bestand darin, möglichst den ganzen Jahrgang vom freiwilligen Dienst bei der Nationalen Volksarmee zu überzeugen. Bretschneider, Mitglied der jungen Gemeinde, ließ sich nicht beeindrucken. „Ich bekam eine Sonderbehandlung. Ein dreiviertel Jahr lang musste ich um 9 Uhr beim Direktor antreten.“ Der versuchte es mit Überzeugung, mit Schikanen und Gebrüll. „Am Ende stand, dass ich nicht Architektur studieren durfte“, erzählte Bretschneider gestern in „seiner“ Schule vor jungen Leuten.

Harald Bretschneider mit dem verkleinerten Abguss der Skulptur „Schwerter zu Pflugscharen“ des sowjetischen Künstlers Jewgeni Wutschetitsch. Sie ist das Vorbild für das Zeichen der kirchlichen Friedensbewegung in den 80er Jahren. Bretschneider hat vor mehr als 50 Jahren das Lessing-Gymnasium besucht und hier sein Abitur gemacht. Gestern hielt er an „seiner Schule“ einen Vortrag über „Ein Bibelwort, das eine Diktatur zum Wanken brachte“. Foto: André Braun


Bretschneider lernte den Beruf des Zimmermanns, wurde Bausoldat, studierte Theologie und war Anfang der 80er Jahre Landesjugendpfarrer in Sachsen. Die DDR hatte sich gewandelt. Die totale Ablehnung von Militarisierung war ins Gegenteil umgeschlagen. Es gab an den Schulen Wehrunterricht und Kriegsspielzeug in den Kindergärten. Es gab Bausoldaten und junge Männer, die als Totalverweigerer ins Gefängnis gingen.

Auf Anregung des Ökumenischen Jugendrates in Europa organisierte die Kirche 1980 die erste Friedensdekade in der DDR und Bretschneider hatte die Idee für ein Symbol. Ein Mann, der sein Schwert umschmiedet nach dem Bibelzitat „Schwerter zu Pflugscharen.“ Bretschneider fand das toll. „Jugendliche brauchen Zeichen. Ich brauchte ein Symbol, das die Jugendlichen nicht gefährdet.“ Denn das Vorbild ist eine Skulptur des sowjetischen Künstlers Jewgeni Wutschetitsch. die in Moskau und in New York vor dem UN-Gebäude steht. Politisch unverfänglich, glaube Bretschneider. Die Stasi sah das anders.

Bretschneider ließ das neue Symbol auf Lesezeichen drucken. „Weil die aus Vlies waren und nicht aus Papier, brauchte ich keine Druckgenehmigung. Das galt als Textiloberflächenveredlung.“ Als die jungen Leute anfingen, sich das Symbol auf den Parka zu nähen, folgt ein richtiger Aufnäher. Von da an setzte die staatliche Verfolgung ein, von der Bretschneider glaubt, dass sie mit der Anfang vom Ende der DDR war. „Stasichef Mielke hatte 1982 eine Anordnung an Polizisten und Lehrer herausgegeben. Die Zeichen waren zu entfernen, obwohl sie nicht verboten waren“, sagte Bretschneider. An vielen Schulen wurden Schüler zum Direktor zitiert. „Dort wurde eine Schere zur Verfügung gestellt.“ Viele von denen, die sich weigerten, setzten sich Repressionen aus. Sie bekamen keinen Studienplatz, wurden sogar von der Oberschule relegiert oder flogen aus der Lehrstelle. „Das hat sich die DDR selbst zuzuschreiben, dass sie mit dieser Verfolgung eine Opposition geschaffen hat“, sagte Bretschneider. Es bildeten sich immer mehr kirchliche Gruppen. Am Ende dieser Entwicklung stand der friedliche Umbruch im Herbst 1989.

Bretschneider hat dem Lessing-Gymnasium gestern ein Lesezeichen und einen Aufnäher von damals für das Schulmuseum geschenkt. Seinerzeit war das anders, da hat er sie verkauft. „Das Stück hat 25 Pfennige gekostet. Damit haben wir die Hilfe bei Prozessen gegen Wehrdienstverweigerer finanziert. Das wusste noch nicht mal mein Bischof.“

Döbelner Anzeiger
Jens Hoyer
23.01.2013