01. Oktober 2018

Döbelner Heimatforscher Gerhard Heruth verstarb im Alter von 84 Jahren.

„Ein herzliches Dankeschön und Tschüss“ - so überschrieb Gerhard Heruth einen seiner letzten Artikel für die Mitgliederzeitung des Traditions- und Fördervereines Lessing-Gymnasium Döbeln e.V. im Mai 2015, deren Chefredakteur er viele Jahre war. In diesem Artikel verabschiedete er sich von seinen Lesern. Der Inhalt – ungewohnt persönlich.

Gerhard Heruth - höfisch nobel beim Besuch des Barockschlosses Lichtenwalde 2013.


Gerhard Heruth erzählte uns, wie er 1945, einen Tag vorm Einmarsch der Roten Armee, als Zehnjähriger aus seiner ostpreußischen Heimatsstadt Osterode flüchten musste. Nach mehreren Tagen und Nächten im Güterwaggon kam die Familie über Wittenberge nach Döbeln. Die Flucht fand am 16. März hier ein Ende, das Trauma des Krieges noch nicht. Einen Tag nach der Ankunft klinkte ein angeschossener Flieger über Döbeln zwei Bomben aus. Eine zerstörte das Haus in der Dresdner Str. 29a, in dem die Heruths untergekommen waren. Glücklicherweise hatten sie sich, als der Luftalarm ausgelöst wurde, in Sicherheit gebracht. Sie überlebten ganz in der Nähe des Oberfriedhofs in einem kleinen Stollen, den der Friedhofswärter, ein Verwandter, mit Grabsteinen ausgekleidet hatte. Kein freundlicher Empfang in Sachsen. Schon hier hätte das Leben Gerhard Heruths in Döbeln enden können. Doch er hatte Glück. Auf ihn warteten noch 73 Döbelner Jahre.

Vielleicht ist die Erfahrung, sein Zuhause zu verlieren, der Grund dafür, dass er seine neue Heimat Döbeln besonders liebte. Er wusste das Gefühl der Geborgenheit, das Gefühl dazuzugehören mehr zu schätzen als andere. Er dankte es der Stadt auf vielfältige Weise. Besonders hervorzuheben sind seine regionalgeschichtlichen Beiträge, die er über Jahrzehnte in der Mitgliederzeitung des Traditions- und Fördervereins publizierte. Gesammelt findet man seine „Entdeckungen im tausendjährigen Döbeln“ heute auf der Webseite www.doebeln-entdecken.de. Die Seite wird täglich von ca. 150 Menschen, die sich für die Geschichte Döbelns interessieren, besucht. Für sein Engagement bei der Erforschung der Stadtgeschichte wurde Gerhard Heruth 2012 mit dem „Goldenen Stiefel“ ausgezeichnet. Ein Freund aus seiner Schulzeit, Dr. Christian Wolf, hielt damals die Laudatio und lobte völlig zu Recht den besonderen Stil Heruths. Der schrieb einerseits historisch fundiert, andererseits auch immer mit einem Augenzwinkern. Seine Texte zu lesen, macht Freude.

Gerhard Heruth (li.) 2012 bei der Verleihung des "Goldenen Stiefels" im Rittersaal der Burg Mildenstein. MR Dr. med. Christian Wolf (re.), Schulkamerad und viele Jahre Hausarzt, hielt die Laudatio (mit im Bild Katrin Niekrawietz, Michael Höhme).


Auch Döbelner, die sich nicht für die Geschichte interessieren, hatten einmal jährlich die Gelegenheit, Gerhard Heruth „kennenzulernen“ – indirekt natürlich nur. Er ist der Konstrukteur der Döbelner Weihnachtspyramide, die seit 1983 auf keinem Döbelner Weihnachtsmarkt fehlte. Von 1957 bis 1992 hatte Gerhard Heruth im VEB Rationalisierung gearbeitet, er war Ingenieur im Leib und Seele. Immer wenn es darum ging, etwas Neues auszuprobieren, konnte man auf ihn zählen – die Pyramide für den Döbelner Weihnachtsmarkt, die damals als „Jahresendfiguren-Karussell“ in Auftrag gegeben worden war, ist dafür ein gutes Beispiel.

Zeit seines Lebens blieb Gerhard Heruth dem Lessing-Gymnasium treu verbunden. Hier hatte er von 1949 bis 1953 die Schulbank gedrückt, 1991 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des Vereins "Ehemalige Realgymnasiasten und Lessing-Oberschüler Döbeln". Als Mitglied des Vorstands und als Chefredakteur der Vereinszeitung arbeitete er bis 2013 ehrenamtlich für seine alte Schule. 2009 wurde er deshalb zum Ehrenmitglied ernannt. Dass der Förderverein des Lessing-Gymnasiums mit über 400 Mitgliedern heute einer der erfolgreichsten Schulfördervereine Sachsens ist, verdanken wir maßgeblich auch ihm.

Am 20. September 2018, genau an seinem 84. Geburtstag, ist Gerhard Heruth in seiner Heimatstadt Döbeln gestorben.

Wir verlieren einen Freund, verabschieden uns mit einem „herzlichen Dankeschön“ und sagen „Tschüss“.

Michael Höhme