Das Leben im Schtetl

Die ostjüdischen ,,Schtetl" waren durch unvorstellbare Armut und Enge gekennzeichnet. Die Juden lebten hier von der übrigen Welt völlig abgeschlossen und verharrten in mittelalterlichen Lebensformen. Die Aufklärung und die Emanzipation der Juden in Westeuropa gingen an den Ostjuden spurlos vorüber. Trotzdem blieb das Schtetl stets ein Ort jüdischen Zusammenhalts. Innigste Frömmigkeit gab auch dem ärmsten Juden Würde und machte das Schtetl zu einem ,,in Lumpen gehüllten Königreich des Geistes". Im Schtetl entstand dadurch eine spezifische jüdische Kultur und Religiosität. Dennoch war die Not erdrückend und viele versuchten ihr Heil in der Auswanderung ( häufig nach Amerika ) zu finden.
Die eigentliche Vaterpflicht der religiösen Erziehung wurde im Schtetl von der armen Bevölkerungsmehrheit oft dem Cheder, einer Art Grundschule überlassen. Jeder Cheder wurde von einem Lehrer, dem Melammed, geleitet und privat finanziert. Das karge Einkommen und die Missachtung dieser Kinderlehrer in der Öffentlichkeit entsprach der oft mäßigen Qualität ihres Unterrichts. Bettelarm und ohne jegliche Ausbildung lehrten sie den Jungen im Alter von 3-15 Jahren ziemlich unsystematisch Abschnitte der Tora im Original und in jiddischer Übersetzung sowie leichtere Talmud-Stellen. Der Schultag dauerte oft acht bis zwölf Stunden, denn vielen Eltern ging es vordergründig um die Beaufsichtigung ihrer Kinder, während sie arbeiten gingen, um für das Wohl der Familie zu sorgen. Nur die Knaben besuchten bis zu ihrer Bar Mizwa den Cheder. Für die Mädchen gab es, jeweils den häuslichen Verhältnissen entsprechend, eine recht unterschiedliche Erziehung, deren Ziel es war, später einen rituell korrekten Haushalt führen zu können. Für Mädchen und Frauen gab es besondere Gebetbücher und Erbauungsliteratur, welche zum größten Teil in Jiddisch geschrieben waren. Außerdem hatten die Frauen einen gewissen Freiraum für weltliche Lektüre. So konnte es vorkommen, dass die Frauen über einen weiteren Horizont verfügten als ihre ,,nur" rabbinisch gebildeten Männer, welche sich ausschließlich den heiligen Schriften widmen sollten. Nach dem Abschluss des Cheders mußte entschieden werden, ob der Junge das Talent für ein lebenslanges Studium besitzt oder ob er ins Geschäftsleben eintreten muss. Ist der Junge befähigt für das Studium, kam er auf die Jeschiwa, eine Art theologischer Hochschule, und war nun ein Jeschiwe-Bocher ( ,,Jeschiwa-Junge" ). Nur wenig Eltern konnten das Studium finanzieren. Die Lösung dieses Problems beweist, welchen Stellenwert das religiöse Studium im Schtetl hatte, denn die Gemeinde übernahm nicht nur die Unterhaltung der Jeschiwa, sondern auch die der ärmeren Studenten . Die Ausbildung beschränkte sich fast ausschließlich auf die traditionellen Texte des Talmud und die rabbinischen Gesetzessammlungen. Profane Fächer waren verpönt. Durch die Förderung begabter armer Studenten bestand für sie die Chance eines sozialen Aufstiegs, da die Absolventen der Jeschiwot ein hohes Prestige in den Gemeinden besaßen. Reiche Familien waren durchaus bereit, ihre Tochter mit einem armen, aber gelehrten Mann zu verheiraten und diesem ein lebenslanges Studium zu finanzieren. Weil die Bildung im Schtetl einen hohen Stellenwert einnahm, gehörten die Gelehrten zur Oberschicht, den Schejnen Jidn. Ein idealer Schejner war gelehrt und vermögend; er war wohltätig und sein soziales Verhalten entsprach den Normen der ostjüdischen Kultur. In der Unterschicht, der Proste Jidn, zeigten sich die gleichen Abstufungen wie in der Oberschicht. Die Rangfolge reichte vom selbständigen Handwerker, Kleinhändler, Hausierer und Schankwirt bis hin zu den ärmsten, den Wasser- und Lastenträgern, Musikanten, Totengräbern, Bettlern und den häufig beschriebenen ,,Luftmenschen".

Ostjüdische Ansichten

Jiddisch

Wo immer sich Juden für längere Zeit in der Diaspora niederließen, entstanden ,,Judensprachen“. Diese waren eine Mischung aus der Sprache der jeweiligen Umwelt und den traditionellen jüdischen Sprachen Hebräisch und Aramäisch. Die beiden wichtigsten Judensprachen waren das Judäospanische (Ladino) und das Jüdisch - Deutsche (Jiddisch).
Jiddisch entstand im mittelhochdeutschen Sprachraum, wo Juden seit dem 9.Jh. nachgewiesen sind, und fand vor allem in Osteuropa als Umgangssprache Verbreitung. Hier entwickelte es sich weiter; es wurde die Alltagssprache des Schtetl.
Seit Ende des 13.Jh. wurde Jiddisch auch zur Literatursprache. Im 19.Jh. haben vor allem zwei Bewegungen die Herausbildung einer modernen jiddischen Literatursprache gefördert: der Chassidismus und die Haskala (innerjüdische Aufklärung). Der Chassidismus verhalf der Volksliteratur zu einer neuen Blüte, während die Aufklärer Texte veröffentlichten, in denen sie Kritik an den bestehenden Verhältnissen im Schtetl übten. Viel lieber hätten sie in der ,,reinen“ jüdischen Sprache ,dem Hebräischem, geschrieben, doch hätten sie damit die breiten Volksmassen einschließlich der Frauen nicht erreicht. So griffen sie zunächst aus pragmatischen Gründen aufs Jiddische zurück.
Als Väter der modernen jüdischen Literatur gelten Mendele Mocher Sforim (1835 - 1917), Isaak Leib Perez (1851 - 1915) und Scholem Aleichem (Pseudonym für Schalom Rabbinowitsch, 1859 - 1916).
Überzeugt von den Ideen der Aufklärung schrieb Mocher Sforim ursprünglich in Hebräisch. In der Absicht, ein breites Publikum zu erreichen, wandte er sich aber bald dem Jiddischen zu. Der nachfolgenden Schriftstellergeneration galt er als der Schöpfer und Begründer der neueren jiddischen Literatur; sie bezeichneten ihn liebevoll als ihren Seide (Großvater).
Perez begann in den 80er Jahren unter dem Einfluss grausamer Pogrome nach der Ermordung des Zaren Alexander II. (1881) auf Jiddisch zu schreiben. Ab 1891 gab er die Jiddische Bibliothek heraus, in der neben der jiddischen Literatur auch populärwissenschaftliche Texte zum Zweck der Volksbildung erschienen. Er war Mitarbeiter vieler jiddischen Zeitungen und Journale und bemühte sich um das jiddische Theater. Zu seinen bedeutendsten Werken gehören die Erzählbände „Volkstümliche Geschichten“ und „Chassidische Erzählungen“. Auf der Konferenz der Jiddischisten in Czernowitz (1908), bei der es darum ging, die jiddische Literatur als zeitgemäßes, ernstzunehmendes Schrifttum bewusst zu machen, war Perez einer der Wortführer. Bei seinem Begräbnis sollen sich 100 000 Trauernde versammelt haben.
Auch Aleichem wandte sich in der Hoffnung , die Volksmassen mit Geschichten erziehen zu können, der jiddischen Sprache zu. Er beschrieb den Typ des ewig Scheiternden, der doch immer wieder Hoffnung schöpft und sich bemüht, mit Humor seinen oft traurigen Alltag zu bewältigen. Im Roman „Tewje, der Milchmann“ (1894) hat er diesen Typ verewigt. Tewjes Geschichten wurden zur Vorlage des Musicals „Fiddler on the Roof“ („Anatevka“), das 1964 mit großem Erfolg am Broadway vorgestellt wurde und seither auf den Bühnen der ganzen Welt gespielt wird.

Für die weniger gebildeten Männer, vor allem aber für die Frauen, die nur am Rande in das traditionelle Bildungssystem einbezogen waren und die Sprache der Gebildeten, das Hebräische, nicht beherrschten, entstand eine umfangreiche Literatur in ,,Weiberdeutsch“ – wie das Jiddische nicht selten abfällig genannt wurde. Ein Beispiel dafür ist die „Zenne Renne“, eine Sammlung von volkstümlichen, frei ausgeschmückten Bibelübertragungen, die mit Erläuterungen versehen sind. In den Jahrhunderten war die „Zenne Renne“ das grundlegende Erziehungs- und Bildungsbuch der jüdischen Frau. Etwa um die gleiche Zeit entstanden die Tchines (von techinna, ,,Flehen“), persönliche Bittgebete für die Frauen, die in einem gefühlsbetonten Stil verfasst waren und der Erbauung dienten. Einige wurden sogar von Frauen geschrieben, ein Phänomen, das in der religiösen Literatur nicht häufig war.
Ein jiddischer Text ganz besonderer Art sind die Memoiren der Glückel von Hameln (1646 - 1724), einer selbstbewussten Tochter aus reicher Hamburger Familie, Ehefrau, Mutter von 12 Kindern und Geschäftsfrau. In ihren Erinnerungen, die sie für ihre Kinder schrieb, spiegelt sich das Alltagsleben der begüterten jüdischen Kreise in Norddeutschland Ende des 17. und Anfang des 18. Jh. wider.

Noch vor dem Zweiten Weltkrieg war das Jiddische weltweit die Muttersprache von etwa 12 Mio. Menschen. Während des Krieges wurde die jiddische Sprache und Literatur mit ihren Autoren und Lesern in Mittel - und Osteuropa vernichtet. Viele wanderten aber auch aus. Unter den eingewanderten Autoren bildete sich bald eine rege Literaturszene heraus. Schriftsteller wie Isaac Bashevis Singer, sein älterer Bruder Israel Joshua Singer, Scholem Asch u.a. erwiesen sich als bedeutende Erzähler, die durch Übersetzungen in europäische Sprachen auch viele Leser in nichtjüdischen Kreisen gefunden haben. Mit der Verleihung des Literatur – Nobelpreises an Isaac Bashevis Singer im Jahr 1978 wurde die gesamte jiddische Literatur geehrt.

erarbeitet von: Daniel Schmidt, Kristian Kunz, Jana Zerche
Wahlgrundkurs "Jüdische Geschichte und Kultur" Schuljahr 1998/99

Chassidismus

Die wirtschaftliche Situation der Juden zur Zeit der Entstehung des Chassidismus

Die Bewegung des Chassidismus entstand Mitte des 18.Jahrhunderts in Wolynien und Podolien / Ukraine.
Zu dieser Zeit dienten zahlreiche Juden den polnischen Feudalherren. Diese hatten ihre Besitzungen den Juden verpachtet, die ihrerseits die vom Adel auferlegten Summen aus den Bewohnern - den Zoporager Kosaken - herauswirtschafteten mussten. Die Feudalherren sahen die Ukrainer als niedere Rasse an und zwangen sie aufgrund ihres römisch katholischen Glaubens die Oberherrschaft des Papstes anzuerkennen. Die ausführenden Organe dieses Unterdrückungssystems waren die Juden. Deshalb waren sie bei den Kosaken verhasst. Die wirtschaftliche Lage vieler Juden war zu Beginn des 17. Jahrhunderts sehr gut, da sie das Recht der Branntweinherstellung bekommen hatten. Außerdem war es ihnen erlaubt mit Getreide zu handeln. Sie waren wirtschaftlich wichtige Glieder im polnischen Feudalstaat. Ihre wirtschaftliche Funktion entsprach ihrer politischen Lage. Sie bildeten im eigentlichen Sinne einen "Staat im Staate".
Dies und die Rolle einiger Juden als ungeliebte Verwalter adligen Großbesitzes führte zu Auseinandersetzungen mit der slawischen Bevölkerung.
Durch die Vergeltung des Kosakenführers Bogdan Chmielnicki begann ein nationaler Rachezug gegen die Juden. Viele Tausende mussten dadurch ihr Leben lassen. Innerhalb von 10 Jahren (1648 - 1658) ermordeten die Kosaken etwa 250 000 Juden. Viele jüdischen Gemeinden und damit auch deren geistig und kulturelles Leben wurden zerstört.
Zu Beginn des 18.Jahrhunderts waren die ukrainischen Juden vielfach verarmt, da die Konkurrenz der Christen im Handel ihnen Not bereitete. Die jüdische Bevölkerung schien wirtschaftlich dem Untergang geweiht.
In dem Pseudo-Messias Sabbatai Zwi suchte man in dieser Situation Erlösung. Dieser brachten jedoch nur entsetzliche Enttäuschung.
Die eigentliche befreiende schöpferische Tat kam von den Juden selbst. Es entstand eine religiös gesellschaftliche Selbstbefreiung (Autoemanzipation) aus den Tiefen des nationalen Lebens - der Chassidismus. Die Juden erkannten ihre Resignation und mobilisierten ihrer letzten Kräfte. Durch die Sehnsucht nach Überwindung der furchtbaren gesellschaftlichen Not entstand der Chassidismus. Im Gegensatz zum zeitgenössischen Rabbinismus predigte diese neue Bewegung religiöses Gefühl und Gleichheit. Auch der Unwissende wird durch die Stärke seines Gefühls ein Gleichberechtigter.

Hetman Bogdan Chmielnicki Kupferstich von Hondius, Danzig 1651.

Die Ideenwelt des Chassidismus

Im Chassidismus lässt sich der Gedanke der Demokratie in geistiger und ökonomischer Hinsicht feststellen. Es entstehen hier nicht übersteigerter Intellekt und Wertung eines Juden nach seiner Gelehrsamkeit im Vordergrund wie im Rabbinismus, sondern man setzt hier prinzipiell auf das jedem zugängliche religiöse Gefühl und die Intention (Kawwana).
Der radikale gesellschaftliche Demokratismus zeigte sich bei den ersten Führern, den Zaddikim. Rabbi Israel Baal-schem tov (ca. 1700 -1760) war der Schöpfer der Bewegung und widmete sich mit Vorliebe Ungebildeten und Armen aus dem Volk. Damit schuf er sich den Weg zum Herzen des Volkes. Er passte seine Sprache und sein Lebensgefühl ihren Neigungen an. Die Nächstenliebe zum Volk stand im Vordergrund. Der Zaddik repräsentierte den Typus des autonomen Führers und entspricht so dem Charakter des Chassidismus als einer autonomen Gemeinschaftsbildung. Er wird aufgrund seiner Begabung zum Führer und ist das Gegenteil eines falschen Messias. Dieser will die Erlösung jedes einzelnen selbst vollziehen.
Eine weitere Erscheinung des Chassidismus aus gesellschaftlicher Struktur ist, dass sie nicht wie in der Mystik des Abendlandes oder der Kabbala einzeln zurückgezogen und ganz in sich gekehrt leben, sondern ihre Religion in der Gemeinschaft verwirklichen.
Der innere religiöse Zusammenhang, der zwischen der Idee der Gemeinschaft und der chassidistischen Religiosität besteht, wird in der Antwort, die der Chassidismus auf die Frage nach der Möglichkeit religiöser Erkenntnis gibt, deutlich: Gott erkennen, ist Gott in der Welt verwirklichen. Deshalb spielt die Freude als Verwirklichung dieser Art religiöser Erkenntnis eine so große Rolle im Chassidismus.

Die Betonung der Kontemplation ( Gedankenversunkenheit)
Für den Chassiden ist alles auf die Erkenntnis Gottes abgestellt, die mit Freude, Kawwana und Hitlahabut ("inneres Brennen") erworben wird. Die verstandschärfende Ausschließlichkeit des Lernens muss deshalb zurücktreten hinter Gebet und gesellige Zusammenkünfte. Diese Zusammenkünfte waren der Höhepunkt des chassidistischen Gemeinschaftslebens. Der Gesang spielte dort eine große Rolle. Es wurden Melodien ohne Worte, welche vom Zaddik selbst erfunden wurden, viele Stunden lang gemeinsam gesungen. In diesen Gesängen spiegelte sich aller Schmerz und alle Freude wider.

Die antikapitalistische Tendenz
Das Judentum in Polen und in Russland war kaum vom Kapitalismus ergriffen, da die wirtschaftliche Gesamtsituation noch nicht reif für eine kapitalistische Einordnung der Juden war. Dann aber wehrten sich die Führer des Chassidismus gegen alle bürgerlich-rechtlichen Vorteile. Mit dem Fortschreiten des kapitalistischen Entwicklung in Polen bildete sich auch langsam eine kapitalistische jüdische Oberschicht heraus. Dem Chassidismus fehlen die kapitalistisch-bürgerlichen Tugenden wie Streben nach Reichtum und wirtschaftlicher Selbstständigkeit. Der größte Teil der Chassidim hatte deshalb auch keinen festen Beruf. Nur ein kleiner Teil waren Kaufleute und Handwerker.
Die Chassiden rekrutieren sich aus den ärmsten Klassen und waren an der kapitalistischen Entwicklung bis zum Niedergang des Chassidismus unbeteiligt. Auch dem Großhandel bleiben sie fern, weil sie dafür ihre heimatliche Gemeinschaft für Fernreisen hätten verlassen müssen.

Die Bedeutung des Gesetzes im Chassidismus
Der Chassidismus greift auf die Quellen des eigenen Volkes zurück und formt selbst neue religiöse Ideen, die im Gegensatz sowohl zu Anschauungen der Umwelt wie des gerade herrschenden Judentums stehen. Er erkennt die weltlichen und religiösen Gesetze ohne Vorbehalte an. Diese gelten ihm als Grundlage des Judentums und der neu erfassten Religiosität. Seine neuen religiösen Inhalte hat er völlig in die Form des Gesetzes hineingegossen und erkannte dabei dessen objektiv-gültige nationale Bindungen an und betonte sie. Nur hinsichtlich bestimmter Gebräuche ( Minhagim) hatte er seine Besonderheiten.

Chassidistischer Humor ( nach Rabbi Shmuel Avidor Hacohen )

Echte Wahrheit
Rabbi Jecheskel pflegte zu sagen:
" Alles kann man kopieren - außer der Wahrheit.
Denn sobald etwas der Wahrheit gleicht, ist es nicht länger die Wahrheit selbst."

Bedürfnisse
Rabbi Jechiel Michal von Zloczow pflegte zu sagen: " Ich habe niemals einer Sache bedurft, bis ich sie besaß. Denn daß ich sie nicht besaß, war Beweises genug, daß ich ihrer nicht bedurfte! "

Realitätssinn
Einst saß ein Rabbi mit anderen bei Tisch. " Ich bin ganz sicher ",sagte er, " daß meine Anhänger stets das tun, wascich ihnen auftrage. " Einer der Anwesenden fragte voll Erstaunen, wie er sich dessen so sicher sein könne. " Weil ich ihnen nur auftrage", lautete die Antwort, " wozu sie sich auch imstande fühlen! "

In Gebetslaune
Ein Chassid fragte einmal seinen Rabbi: " Wie soll ich mich aufs Beten vorbereiten? " " Bete! " erwiderte der.

Wiederbelebung
Rabbi Menachem Mendel äußerte sich einmal zu solchen Chassidim, die sich damit brüsteten, daß ihr Rabbi Tote ins Leben zurückrufen könne: " Was mich betrifft ",sagte er, " mir genügt es vollauf, wenn meine Anhänger von mir erzählen, daß ich die Lebenden zu wahren Leben bringen kann. "

Getrübtes Verhältnis
Rabbi David von Tolna pflegte zu sagen: "Diejenigen, die immer nur andere tadeln und jeden außer sich selbst zurechtweisen, kommen mir vor wie das Wasser, das zwar den Schmutz hinwegspült, doch selbst dabei trübe wird."

Verbreitungsgebiet des Chassidismus in Osteuropa

Der Niedergang des Chassidismus

Mit dem Niedergang des Chassidismus verliert dieser auch seinen demokratischen Charakter. Dies drückt sich am stärksten in der Veränderung der Bedeutung des Zaddiks aus. Die Kluft zwischen ihm und der Masse wurde immer größer und zwar wohl in geistiger wie in wirtschaftlicher Hinsicht. Der Zaddik wird zum Mittler, und er ist im Besitz ganz besonderer, dem Volke ansonsten unzugänglicher Eigenschaften. Seine Konstitution ist qualitativ prinzipiell verschieden von der des Volkes. Diese Kluft drückt sich auch in seiner wirtschaftlichen Situation aus. Der Zaddik wird wohlhabend und gibt sein Geld nicht dem Volk, sondern steckt es in seine eigene Tasche. Für einen Rat an andere Menschen verlangt er reichlich Geld. Trotz persönlicher Anspruchslosigkeit umgibt ihn ein fürstlicher Hof. Außerdem basiert der Beruf des Zaddiks nicht mehr auf Freiwilligkeit, sondern wird vererbt. Mit dem neuen Typus von Zaddik war aber das ursprüngliche gesellschaftlich-religiöse und revolutionäre Prinzip des Chassidismus verloren gegangen.

verfasst von: Kathleen Schibiak
Wahlgrundkurs "Jüdische Geschichte und Kultur" Schuljahr 1999/2000