Feedback an den Autor

Sehr geehrter Herr Modick,

vor kurzem wurde ich „durch eine höhere Gewalt“ wieder einmal gezwungen, den Buchladen meiner Stadt zu besuchen. Einer Ihrer Romane sollte Gegenstand des Deutschunterrichtes werden. Im Buchladen angekommen, wusste ich nicht, unter welcher Rubrik ich Ihr Buch suchen sollte. Ich wendete mich an eine freundliche Verkäuferin. Es dauerte einige Zeit, bis sie verstanden hatte, dass ich nicht einen Bestseller suchte, sondern Ihren Roman mit dem Titel „Bestseller“. Stellen Sie sich vor, er war sogar vorrätig und brauchte nicht erst bestellt zu werden. Zufrieden hielt ich die neue Schullektüre in meinen Händen und die Verkäuferin 8,95 Euro in den ihren.

Zuhause angekommen, sah ich mir das Buch etwas genauer an. Der Klappentext versprach eine „freche Satire über den lukrativen Boom multimedialer Vergangenheitsbewältigung“ und einen Autor „in hellsichtig-wütender Hochform“. Das klang ja einerseits vielversprechend, anderseits merkte ich recht schnell, dass es wohl wieder mal eine Lektüre würde, bei der das Fremdwörterbuch hilfreiche Dienste leisten muss. Die geheimnisvollen Koffer auf dem Cover und der knallige Spruch „Um wahr zu wirken, muß die Wirklichkeit gefälscht werden.“ machten mich dann allerdings doch neugierig und ich begann zu lesen.

In wenigen Tagen hatte ich die 271 Seiten gelesen. Danach hatte ich gemischte Gefühle. Endlich mal wieder ein humorvoller Roman. Das gab es bei meiner Schullektüre noch nicht oft. Ich erinnerte mich an eine Passage auf den ersten Seiten. Lukas Domcik sitzt genervt im Zug und behauptet, er wäre Pornoproduzent, um einen lästigen Smalltalk schnell zu beenden. Oder an die Stelle, in der Lukas Domcik aus Rachel Bringmans Erzählungen „Wilde Nächte“ zitiert („meinetwegen soll sie ins Heu beißen“). Hier habe ich seit langem mal wieder beim Lesen laut gelacht. Dafür sollte ich mich eigentlich bei Ihnen bedanken.

Anderseits hatte ich doch auch oft Mühe, das Geschriebene in allen Andeutungen zu verstehen. Es schreckt jugendliche Leser natürlich ab, wenn Sie von „Walsers Idiosynkrasie“ berichten, „pseudo-historische TV-Hervorbringungen“ aufzeigen oder wenn „die flotte Fluktuation“ zur „zeitgenössische[n] Sekundärtugend avanciert“. Wie sich das mit Ihrem Anspruch, dass sich eine gut erzählte Geschichte durch eine „unprätentiöse Schreibweise, die auf stilistische Effekthascherei verzichtet“ vertragen soll, bleibt mir ein Rätsel.

Der positive Eindruck nach dem Lesen Ihres Romans überwiegt dennoch. Besonders gut finde ich den fast durchgängig ironischen Grundton. Endlich schreibt mal jemand etwas, das nicht so „bierernst“ daherkommt. Dass Ihre Ironie manchmal an der Grenze zum Zynismus ist, wissen Sie ja sicher selbst. Ich empfinde das aber nicht als Nachteil.

Auch die Mischung aus Erfundenem und scheinbar Realem ist gut gelungen. Schon der Name des Schriftstellers „Domcik“ (jetzt weiß ich endlich, was ein Anagramm ist) zeigt ja, dass ihr Autor Züge des Romanautors trägt. Dass Domcik ein Mensch mit Stärken und Schwächen ist, hat mir gefallen. Ich finde es auch gut, wenn man über sich selbst lachen kann. Man ist sich aber nie sicher, was tatsächlich ein realer Bezug zu Ihrem Leben ist. Das lässt natürlich Fragen aufkommen: Sind Sie wirklich irgendwann aufgefordert worden, eine Dokufiktion zu schreiben? Gab es in Ihrem Leben auch eine „Rachel“? Kann Ihre Frau jemals wieder sorglos allein im Meer baden, wenn Sie (rauchend?) am Strand sitzen? - Ich weiß schon, alles ist ja nur eine erfundene Geschichte. Das würden Sie mir sicher erwidern. Meine Fragen bleiben dennoch.

Interessant fand ich auch, wie Sie die Buchvermarktung darstellen. Ich war geschockt. Mir war zum Beispiel nicht bewusst, wie sehr der Erfolg eines Romans von der Werbung abhängt, die dafür gemacht wird. Da stellt man sich doch die Frage, wie viele geniale Werke von „erfolgsorientierten“ Verlagen unter den Tisch gekehrt wurden.

Oder ist es vielleicht so, dass Sie den Kult um die Verkaufszahlen deshalb kritisieren, weil sich Ihre Bücher in der Vergangenheit nicht so gut verkauften? Es gibt ja auch genügend Beispiele, die zeigen, dass man Bestseller schreiben kann, ohne sich dem Massengeschmack zu ergeben. So Patrick Süskinds „Parfum“ oder auch „Der Vorleser“ von Bernhard Schlink. Dem Letztgenannten werden Sie vielleicht vorwerfen, dass hier die „braune Bonanza“ vermarktet wird. Dass Schlink seine Leser allerdings nicht mit „Walsers Idiosynkrasie“ (Sie merken schon, das ist mein Lieblingsbeispiel!) nervt, finde ich sehr gut!

Übrigens fand ich das Ende Ihres Romans sehr gelungen. Ich habe mit dem armen Lukas Domcik mitgelitten. Ich habe von seiner mäßig erfolgreichen Schriftstellerkarriere erfahren, von dem nicht besonders glücklichen Zusammenleben mit seiner Frau und von Kindern, die seinen Geldbeutel belasten. Eigentlich keine berauschende Bilanz. Doch dies war Ihnen scheinbar noch nicht genug. Als Leser habe ich nicht erwartet, dass es am Ende so „knüppeldick“ kommt. Da man sich im Laufe des Buches gern einmal selbst in die Hauptrolle versetzt, war es für mich schon sehr schwer hinzunehmen, dass all die Arbeit, die er in seine erste Dokufiktion gesteckt hatte, eigentlich umsonst war. Nach all den „erfolglosen“ Romanen, die er geschrieben hatte, bestand nun Hoffnung auf einen großen Verkaufserfolg. Seine „geniale“ Idee, die wunderschöne Rachel zu benutzen, um das Buch noch besser am Markt zu platzieren, war ein „Schuss in den Ofen“. Dieses raffinierte „Fräuleinwunder“ riss sich den Bestseller unter den Nagel.

Armer Lukas Domcik…

Letztlich ist er natürlich selbst…

Klug reden kann man hinterher immer…

Vielleicht lässt sich mit diesem „Dreiklang“ der Schlussgedanke meines Kurzfeedbacks verknüpfen. Für mich war es erleichternd zu sehen, dass menschliches Versagen nichts Außergewöhnliches ist und dass man vielleicht nicht alles auf die Spitze treiben sollte. Perfektionisten sind meist die Ersten, die scheitern.

In diesem Sinne: Vielen Dank für ein spannendes und streitbares Buch. Den nächsten Klaus-Modick-Roman sehe ich mir sicher irgendwann mal genauer an – auch wenn es kein „Bestseller“ ist.

Mit freundlichen Grüßen
Sebastian H.