2. Variante

Innerer Monolog Lukas Domciks

Wie konnte ich mich nur so in einer Person täuschen? Von der schönen Schale ge-blendet und dem hinterlistigen Kern abgezockt. Da sitze ich nun durchnässt in einer funzeligen Altstadtkaschemme und stehe vor aller Welt als der größenwahnsinnigste Neidhammel der Literaturbetriebsgeschichte da. Der Verlag wird mich garantiert rausschmeißen. Ich bin öffentlich blamiert, ja, vielleicht sogar als Autor erledigt. Ich hätte auf Becker hören, hätte einfach gar nichts tun sollen. Aber so einfach ist das Nichtstun nicht. Damit darf sie doch nicht einfach durchkommen!
Wie kann es sein, dass Tante Theas Koffer, die Fotos, das Exposé, das Manuskript, die E-Mails – einfach alles – wertlos sind? Wie sollte denn ein Außenstehender zu derartigen Materialen kommen? Ich kann das doch nicht nur unter dem Motto „dumm und teuer gelaufen“ abtun. Das ist doch mein Werk! Meine Erfindung, mein Star. Mein Geld! Alles meins! Und diese… diese… Person wird mit Preisen überschüttet; hoffentlich erstickt sie im Lob und stolpert über all diejenigen, die sich ihr zu Füßen werfen.
Und das Geld! 70.000. Einfach unglaublich. Und meine 3.000! Wenn ich nur daran denke, wird mir schlecht.
Hat sie denn gar kein Gewissen? Und ich? Wie konnte ich Anne bloß betrügen? Und wie hält Anne es überhaupt schon so lange mit mir, einem erfolglosen, eher mäßig wohlhabenden Schriftsteller, aus?
Wie konnte ich nur so naiv sein, zu glauben, dass alles nur ein Missverständnis ist, als keine Antwort mehr von ihr kam?
Und dieser Auftritt auf der Buchmesse gerade. Vielleicht hätte ich doch nichts trinken sollen. Aber jetzt ist sowieso alles vorbei. Da kann ich auch noch einen Cognac be-stellen. Oder zwei.
Und sie kennt mich nicht? Nein, natürlich nicht. Da stelle mer uns janz dumm, nicht wahr? Und ihr schutzheischender Blick! Sie in der Opferrolle, wie ein scheues Reh. Perfekte Besetzung. Beinahe sarkastisch. Wer ist denn hier das Opfer? Ein weiterer Schluck Cognac. Ich kapituliere.
Aber Moment mal… War da nicht… In der Tasche… Ah, da ist es. Rachels kleines Goldkettchen mit dem Diamantenanhänger. Vielleicht ließe sich das noch irgendwie zu Geld machen. Das schöne Kettchen, das immer so verführerisch ihren schlanken Hals – verdammt! Wie kann sie nach all dem, was sie mir angetan hat, immer noch anziehend auf mich wirken? Das schöne Biest.

Maria W.